Nach der Zwangspause durch die Corona-Pandemie hat die internationale Textilkonferenz Aachen-Dresden-Denkendorf (ADD-ITC) am 1. und 2. Dezember nach zwei-jähriger Pause erstmals wieder als Life-Tagung vor Ort in Aachen stattgefunden. Noch stärker als in den vergangenen Jahren lag der Fokus diesmal auf der nachhaltigen Entwicklung der Textilindustrie. Zwar war in den Vorträgen immer wieder auch vom Krieg in der Ukraine die Rede und wie dieser sich auf die Energieversorgung Europas und die Energiepreise auswirkt. In den mehr als 50 Vorträgen und Präsentationen wurde aber deutlich, dass sich die Nachhaltigkeit ganz unabhängig davon längst zum entscheidenden Treiber aktueller Trends in der Textilproduktion und -forschung entwickelt hat. Verena Thies, Geschäftsführerin des Textilmaschinen-Herstellers Thies aus Coesfeld, machte in ihrem Leitvortrag deutlich, wie wichtig es für Unternehmen sei, sich umfassend klimaneutral aufzustellen. Entscheidend dafür sei es unter anderem, entsprechende Betriebsdaten systematisch zu erfassen – nicht nur zum Gas- und Stromverbrauch insgesamt, sondern im Detail auch zur Prozesswärme oder Druckluft. Erst mithilfe solcher Datensätze sei es möglich, an den entscheidenden Stellen gezielt nachzubessern – etwa durch neue energiesparende Technik.
Robert Peters (iit) und Johannes Diebel (FKT) zeigen Hebel auf, mit denen die Textilindustrie in eine klimaneutrale Zukunft steuern kann.
Daten als Voraussetzung für klimaneutrale Lieferketten
Dass Daten der Schlüssel zu einer nachhaltigen und auch energiesparenden Liefer- und Produktionskette sind, betonte auch FKT-Geschäftsführer Johannes Diebel. So hat das FKT zusammen mit dem Berliner Institut für Innovation und Technik (iit) in einer Workshopreihe ganze Ketten daraufhin analysiert, an welchen Stellen und in welchen Mengen das Klimagas CO2 emittiert wird – bei der Produktion, beim Transport oder auch bei der Gewinnung der Rohstoffe. Zudem stellte Johannes Diebel zusammen mit iit-Referent Robert Peters in Aachen die gemeinsam erarbeitete Studie zum Thema Kreislaufwirtschaft vor. Die wohl wichtigste Botschaft: Zwar kostet der Aufbau textiler Kreisläufe Zeit und Geld. Wer aber Lösungen schnell am Markt etabliert, kann damit in Sachen Nachhaltigkeit zum Technologieführer werden. Was den Kohlendioxid-Ausstoß vieler Liefer- und Produktionsketten angeht, bestehe heute noch ein Problem darin, dass sich die CO2-Emissionen nicht vollständig ermitteln lassen. Hier bedürfe es, so Robert Peters, europaweit großer Anstrengungen für einen Datenaustausch, der selbstverständlich die Betriebsgeheimnisse der Hersteller wahren solle. Auf großes Interesse bei den Gästen der ADD-ITC stießen auch die Plenarvorträge, die sich grundlegend mit dem Thema Nachhaltigkeit befassten – etwa der Vortrag von Dieter Gerten vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der das Konzept der Planetaren Grenzen vorstellte – jener Parameter, die deutlich machen, wie belastet der Globus heute bereits ist, etwa im Hinblick auf den Verbrauch von Land und Wasser.
Partner aus Skandinavien setzen auf europäische Zusammenarbeit
Partner-Länder waren in diesem Jahr Finnland und Schweden. Ali Harlin vom VTT Technical Research Center of Finland stellte das aktuelle finnische Konzept für eine textile Recycling-Plattform dar und unterstrich in seinem Vortrag auch, wie wichtig die europaweite Zusammenarbeit für das umfassende Textil-Recycling ist. Anna Peterson von den Research Institutes of Sweden in Malmö informierte über aktuelle Arbeiten zum chemischen Recycling von Mischgeweben aus Polyester, Nylon und Elasthan. Sie zeigte, dass sich die verschiedenen Substanzen bereits sehr gut voneinander trennen und wieder aufbereiten lassen. Reif für den Praxiseinsatz sei das Verfahren aber noch nicht. Zudem zeigte die Forscherin die Grenzen des chemischen Recyclings auf: Im Grunde sei es möglich, jede Substanz in irgendwelche anderen Moleküle zu zerlegen – nur müssten die Verfahren am Ende auch effizient sein und bezahlbar bleiben.
Smarte Textilen – robust und anwendungsnah
Einmal mehr waren auch die Entwicklungen bei den smarten, medizinischen Textilien ein Thema. Deutlich wurde, wie praxisnah die Forschung inzwischen ist. Im Fokus stand Elektronik, die robust, waschbar und einfach in die Textilien zu integrieren ist. Bernhard Brunner vom Würzburger Fraunhofer-Institut für Silicatforschung stellte gestrickte Textilien vor, die mit Messelektronik ausgerüstet werden – unter anderem eine Socke für Diabetiker, die den Druck unter dem Fuß misst, um das von der Krankheit angegriffene Gewebe zu schützen. Zu den Fraunhofer-Lösungen gehören auch gestrickte Leiterbahnen sowie ein Automat, der Elektronikbauteile wie etwa Sensoren mithilfe von heißem Kunststoff mit den Textilien und den gestrickten Leiterbahnen verschmilzt.
Wie faszinierend und abwechslungsreich nachhaltige Textilien sein können, zeigte die Fashion-Show „Rise!“, bei der Models Kreationen von Absolventen der Designfachbereiche mehrerer deutscher Hochschulen präsentierten. Zu den Highlights gehörte zweifellos auch der Vortrag von Jörg Kleinalstede, der mit seiner Firma mezzo-forte Stringed Instruments seit einigen Jahren Streichinstrumente aus Carbonfaser-verstärktem Kunststoff herstellt. Begleitet wurde er von einem Kammerorchester, das auf den Carbon-Instrumenten einige klassische Stücke vorspielte. In seinem Vortrag betonte Jörg Kleinalstede, wie schwierig es sein kann, mit Textilien in neue Branchen vorzustoßen – und Vorurteile zu bekämpfen: in seinem Fall, dass Carbon keine Seele habe und einfach nicht gut klinge. Das Streichquartett zeigte, dass dem nicht so ist.
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